Johann Gottfried von Aschhausen, die Hexen und das keusche Leben

Aschhausen auf einem Stich von Peter Isselburg aus dem Jahr 1620. Vorlage: Bildarchiv Austria via wikimedia commons

Heute geht es nochmal um die Hexerei-Verfahren aus der Zeit des Pontifikats von Johann Gottfried von Aschhausen (1575-1622, 1609 Bischof von Bamberg, 1617 Bischof von Würzburg). Genauer gesagt: Es geht um zwei Punkte aus der Rezeption dieser Prozesse. Man könnte auch sagen: der Forschungsgeschichte. Was haben Medien und historische Forschung aus der vorhandenen Überlieferung gemacht? Bei den Würzburger Hexenprozessen gibt es da erstaunliche Mutationen.

Der erste Punkt bezieht sich auf die Stadt Würzburg. In der 1748 gedruckten Chronik des Würzburger Benediktiners Gropp heißt es, Aschhausen habe 1618 das Münzhaus im Hof der Kanzlei zu einem Gefängnis mit acht Gewölben umbauen lassen, von denen zwei für Hexen vorgesehen waren.

Text aus der 1748 in Würzburg gedruckten Chronik des Benediktiners Ignatz Gropp, Collectio Novissima Scriptorvm Et Rervm Wircebvrgensivm 3, S. 389, Scan 436 (vollständiges Digitalisat).

Daraus wurde in der Literatur ein separates Druten-Haus, ein eigenes Haus als Hexen-Knast also, wie man es aus Bamberg kennt. In Würzburg ist von einem solchen Drutenhaus in den Quellen allerdings nirgends die Rede, der Begriff wird nicht gebraucht. Und die Stelle bei Gropp, die der Literatur als einziger Beleg dient, gibt diese Deutung m.E. nicht her. Das Kanzleiareal dürfte kaum für jedermann zugänglich gewesen sein, die Hexereiverdächtigen waren hier (anders als in Bamberg) der öffentlichen Aufmerksamkeit also gerade entzogen.

Das Kanzleigebäude zwischen Dom (links) und Neumünster (noch nicht barockisiert!), in dem sich auch die Gefängnisräume befanden. Detail aus einem Ölgemälde von Hans Ulrich Büeler aus dem Jahr 1623 im Museum für Franken (das leider so gut wie keine Digitalisate im Angebot hat, daher hier ein Ausschnitt aus einem auf wikimedia commons hochgeladenen Foto (zum Bild)).

Die Quellen, die Gropp an dieser Stelle benutzte, sind nicht geklärt. Wer sich das Digitalisat ansieht, liest im Anschluss an die Gefängnisstelle eine Schilderung von Aschhausens Pracht-Schiff – das erinnert an die hier schon benutzte Handschrift StAW, HV MS f 887, wo dieses Schiff ebenfalls beschrieben wird.

Der Text von Ignatz Gropp wurde 1748 bei Engman in Würzburg unter zwei verschiedenen Titeln gedruckt: Wirtzburgische Chronick (Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek) und Collectio Novissima Scriptorvm Et Rervm Wircebvrgensivm (Exemplar der Staatsbibliothek Bamberg). Was Aschhausen betrifft, scheinen die Texte identisch zu sein (den Rest habe ich nicht überprüft). Zu Ignatz Gropp siehe Stefan Benz, Modelle barocker Geschichtsschreibung in und über Franken (2004), hier S. 172–175.

Der zweite Punkt bezieht sich auf die Person Aschhausen selbst. Gropp hebt an drei Stellen seine zölibatäre Lebensweise hervor (in der angegebenen Chronik S. 393, S. 394 (Schwester-Anekdote), S. 398). Aschhausen galt, so Gropp, als vollkommen keusch lebender Mann. Dies gipfelte in der Anekdote, dass er selbst seine Schwester und deren Freundinnen von seinem Hof wies, um jegliches Versuchungspotenzial auszuschließen. Der Würzburger Archivar Johann Buchinger hat die Geschichte 1843 in seiner Biographie „Julius Echter von Mespelbrunn“ (S. 182/183) aufgegriffen. Schon die Zeitgenossen Aschhausens, heißt es bei Buchinger, diskutierten, ob die Einhaltung des Zölibats überhaupt möglich sei, dann folgt die Anekdote von der Schwester und ihren Freundinnen.

1934 erscheint die Geschichte dann wieder in einem monumentalen Werk: Die Julius Echter-Biographie von Götz Freiherr von Pölnitz war eine Habilitationsschrift und sollte wohl den Weg für eine Universitätskarriere ebnen. Pölnitz, im katholischen Studentenmilieu sozialisiert und (später?) Mitglied von NSDAP und SA, porträtierte Echter hier als Führerfigur in verderbtem Umfeld (Gegenspieler: das Domkapitel). Aus der Universitätskarriere wurde erstmal nichts (später war Pölnitz dann Rektor der Universität Erlangen und Gründungsrektor in Regensburg), aber seine Schilderung Echters als „hart, asketisch, männlich, streng“ (so eine Formulierung Pölnitz’ in einem Text von 1959, S. 20) wird bis heute immer wieder gern zitiert.

Erschienen 1934 in München im Verlag der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Was uns hier interessiert: Pölnitz übernahm die Aschhausen-Schwester-Ankedote aus Buchinger, bezog sie aber auf Julius Echter: „Die eigene Schwester soll er aus dem Grunde vom Hof entfernt haben, daß sie zu ihrer Wartung notwendig einer Reihe anderer Frauen bedurfte, die leicht Anlaß zum Gerede bieten konnten.“ (Pölnitz 1934, S. 320) Die Anekdote wanderte, und diente nun zum Beweis der Härte Julius Echters. Lyndal Roper übernahm die Anekdote dann aus dem Pölnitz-Text von 1959 (in dem anders als 1934 keine Vorlage angegeben wird) in ihr Buch „Hexenwahn“ (München 2007, englische Erstausgabe unter dem Titel „Witch Craze“ 2004)1 und interpretierte noch weitgehender: Sie wird zum Beleg von Echters Körper- und Frauenfeindlichkeit. Zur Erinnerung: Die Geschichte hat eigentlich mit Julius Echter gar nichts zu tun.

Dasselbe gilt für Hexenprozesse vor 1600, die Lyndal Roper Julius Echter zuschreibt, obwohl es keine Würzburger Verfahren waren (Einzelheiten spare ich mir hier und verweise auf einen Aufsatz von 2016, der online ist). Roper übernimmt an dieser Stelle falsche Zuschreibungen, die in der Geschichte der Würzburger Hexenprozesse zur Tradition geworden waren. Auch der Würzburger Ordinarius für Rechtsgeschichte Friedrich Merzbacher hat sie in seinem Buch „Die Hexenprozesse in Franken“ (2. Aufl. 1970) kolportiert. (Ein Schüler Merzbachers hat mir mal erzählt, dass der Ordinarius natürlich nicht selbst ins Archiv gegangen sei, sondern seine Studenten schickte, deren Berichte er dann auswertete. Vielleicht wäre ihm sonst aufgefallen, dass mit der Anordnung im Archiv etwas nicht stimmte.)

Die falschen Zuschreibungen waren möglich, weil die Würzburger Archivare (vermutlich) im 19. Jahrhundert Akten mit Hexenprozessen zusammenstellten, die sie mit dem Label des zum Zeitpunkt der Verfahren amtierenden Fürstbischofs versahen. Darunter befanden sich aber auch Verfahren aus anderen Territorien (vor allem dem Hochstift Eichstätt und Deutschordensballeien; die Frage, wie diese Unterlagen ins Würzburger Archiv gekommen sind, ist das nächste Rätsel).

Historischer Saal 375: Deckblatt einer Akte mit Hexenprozessen im Staatsarchiv Würzburg.

(Zur Ehrenrettung der Kollegen aus dem 19. Jahrhundert noch der Hinweis, dass sich die meisten nicht nach Würzburg gehörenden Prozessunterlagen in der Akte Miscellanea 1954 II befanden. Miscellanea meint aus Archivsicht immer: Man weiß es selbst nicht so genau. Den Bestand Miscellanea findet man in der Tektonik des Staatsarchiv Würzburg unter /Altbestände/Misch- und Auffangbestande/Mischbestände.)

Die falsche Zuschreibung kommt also auch aus einer Art Archivüberschätzung. Andererseits liefert das Archiv die Möglichkeit der Korrektur gleich mit: Man darf nicht nur dem Titel glauben, sondern muss bei den einzelnen Verfahren genau hinsehen (vorkommende Orts- und Personennamen, erwähnte Institutionen, Ablauf der Verfahren wie sonst in Würzburg üblich?), dann kann man sie auch verorten. Damit zum Schluss ein etwas heroischer Satz: Klassische Methoden der historischen Quellenkritik helfen.

  1. Die „Verbannung weiblicher Verwandter“ wird von Lyndal Roper S. 358 Anm. 24 zitiert mit Verweis auf die Vorlage Pölnitz 1959. ↩︎

Zuerst publiziert 3.2.2024.

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