Zwei Brüder aus Wertheim und ein weißer Löwe

Ein Löwe als Wappenhalter, aus: StAWt-G Rep. 102 Nr. 734

Die im letzten Post vorgestellte Verfolgungssupplik der Wertheimer Bürger ist ein Klassiker der Hexereigeschichtsschreibung: Johann Diefenbach hat sie bereits 1886 in seinem Buch „Der Hexenwahn vor und nach der Glaubensspaltung in Deutschland“ abgedruckt (online bei google books, die Supplik S. 21/22). Diefenbach war ein dezidiert katholischer Autor (das Web gibt zu seiner Biographie erstaunlich wenig her, siehe www.deutsche-biographie.de), der seinen Text ausdrücklich als Replik auf das dezidiert protestantische Buch von Soldan/Heppe, Geschichte der Hexenprozesse (1880), konzipierte. (Die beiden aus der Kulturkampfzeit stammenden Werke wurden bis in die jüngste Zeit immer wieder nachgedruckt. Vor allem Soldan/Heppe ist, zuletzt auch durch Internet-Adaptionen, erstaunlich wirkungsmächtig. Es dürfte Zeitgenossen geben, die ihr Wissen über die Hexenprozesse aus diesen Werken beziehen und sich auf der Höhe der Forschung glauben.)

Der Wertheimer Archivar Alexander Kaufmann schickte Diefenbach die Wertheimer Hexenquellen zur Auswertung nach Frankfurt – das war damals üblich. Derartige Aktenverschickungen sind immer eine mögliche Erklärung, wenn man sich über unerwartete Standorte von Hexenquellen, deren Fehlen oder ihren Ordnungszustand wundert. Über den Pfarrer von Neustadt Georg Link in der Rhön erhielt Diefenbach auch Material zu Würzburger Verfahren (Vorwort S. V; zur weiteren Geschichte dieser Unterlagen siehe Seuffert 1990, S. 329 Anm. 224); er benutzte aber auch Unterlagen des damaligen Kreisarchivs und heutigen Staatsarchivs Würzburg (Würzburger Verfahren bei Diefenbach ab S. 123. Der Beginn seiner Darstellung zu Ehrenberg folgt der heutigen Akte StAW, Historischer Saal Nr. 377, man kann also davon ausgehen, dass diese Akte in den 1880er Jahren in ihrer heutigen Form vorlag).

Auch die Geschichte des Wertheimer Dachdeckers und Kaminfegers Barthel oder Bartholomäus Klein, seiner Frau Margaretha und ihrer beiden Kinder Hans und Daniel ist bereits bei Diefenbach vertreten (ab S. 23). Die wichtigsten Unterlagen dazu befinden sich heute in StAWt-G Rep. 102 Nr. 717. Die Wertheimer Kanzlei hatte noch 1628 Hexenprozesse verhindert. Das änderte sich nun im Februar 1629. Ausschlaggebend waren Aussagen der beiden Brüder, die bei einer Hochzeitsfeier im Haus ihrer Eltern magische Dinge gesehen haben wollten.

Am 10. Februar schrieb der Schulrektor ihre Aussagen auf:

Es gab eine Feier, eine Hochzeit, auf dem Dachboden ihres Elternhauses. Der alte Hans war dabei, er hatte zwei kleine Brote (Flecken) und zwei Paar Bratwürste mit. Auch Hans Stark war da mit Fisch und Hammelschlegeln. Man saß auf Besen und schlug sich mit ihnen. Ein weißer Löwe lief die Treppe auf und ab. Zwei schlafende Köchinnen waren da, die von Barthel Klein mit einem Besen auf die Köpfe geschlagen wurden und dann anfingen, zu kochen. Jeder hatte sein eigenes Essgeschirr (Zinlein). Braut und Bräutigam sprangen herum und prügelten sich. Drei Mitschüler (Condiscipulen: Nikolaus Guttorf, Markus Klein, Jörg Bundschuh) waren ebenfalls dabei und haben die Aussagen bestätigt.

Der Rektor brachte die Aussagen zu Papier und schickte sie wohl an die Kanzlei. Damit war das juristische Verfahren losgetreten und das Verhängnis nahm seinen Lauf. Als weiteren Auszug aus den Unterlagen hier noch die Einlassungen des älteren Sohnes Hans Klein vor dem Schulrektor und der Wertheimer Geistlichkeit. Das Stück ist leider nicht datiert, aber ich würde vermuten, dass es ungefähr zeitgleich mit dem letzten entstand: Die Lehrer in der Schule hören vom Hexereigerede der Söhne und rufen die Pfarrer zu Hilfe. Auch dieses Schriftstück dürfte zuletzt in der Kanzlei geendet sein.

Aussage des älteren Sohnes Klein, 10 Jahre alt:

Auch in dieser Aussage wird ein Fest beschrieben: Spielleute sind da, Geiger und Pfeiffer, man isst und trinkt. Der Löwe reißt aus, wird eingefangen. Man fährt auf Besen herum. Die Eltern haben Angst und befehlen den Kindern, nichts zu erzählen. Die Brautleute prügeln sich, sie stammen aus Bettingen, wo man wenig später eine Reihe von Kindern wegen Hexenwerks festnahm (auch der berühmte Hexengürtel, mit dessen Hilfe Hans Zink sich in einen Hasen verwandeln konnte und der seit Jahrzehnten bei keiner Hexenausstellung fehlen darf, kam damals zu den Akten).

Am 16. Juni wurde Hans Klein erneut verhört. Leider ist meine Datei nicht vollständig, aber das Protokoll sieht nach einem regulären Wertheimer Prozess aus. Jetzt waren also die Juristen der Kanzlei am Werk. Sie notieren nun harte Hexenfakten: Besenflug, Teufelstaufe, Kinderleiche ausgraben, Hexenschmiere machen, Hans Stark macht Raupen und Schnecken.

Wenige Tage nach den Aussagen der Kinder Klein gab es die ersten Festnahmen in Wertheim. Darunter waren auch Hofmetzger Hans Stark und seine Mutter Margaretha, die seit langem in der Stadt als Hexen beleumundet waren und nun von den Kindern denunziert wurden. Im Mai wurden sie hingerichtet.

Auch die Eltern Klein wurden im Februar 1629 festgenommen. Beide überlebten. Barthel Klein wurde im September gegen Urfehde aus der Haft entlassen. Im Dezember bat er die Grafen um ein Malter Getreide für sich und seine Kinder, weil er der bekannten traurigen Umstände wegen den ganzen Sommer nicht habe arbeiten können. Die Mutter Margaretha blieb bis November 1630 in Haft. Die Wertheimer Kanzlei hatte für ihren Fall eigens ein Gutachten der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen eingeholt. Die Tübinger Juristen hielten Mutter Klein zwar für schuldig (sie habe sich dem Teufel ergeben und von diesem taufen lassen, sie habe ihren eigenen Sohn zur Hexerei verführt), aber man könne sie mit der Todesstrafe verschonen, weil sie alles gestanden habe.

„Das Gutachten schließt mit Überlegungen zur aus Wertheim gestellten Frage, ob es Teufelstänze und dergleichen überhaupt geben könne, oder ob es sich dabei nur um Einbildungen der Delinquenten handele. Es könnte auch eine ‘illusio diabolica’, eine Vorspiegelung des Teufels, vorliegen. Die Tübinger Juristen halten aber an der Realität der Delikte und dem Sinn der Strafen fest.“ (Robert Meier, 1628 Wertheim, Dettelbach 2015, S. 110)

Zuerst veröffentlicht am 23.7.2024.

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Der Beitrag ist Christel Meier (18.12.1935-19.7.2024) gewidmet. RIP

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