Seit dem Herbst 1626 rollte im Hochstift Würzburg eine Welle von Hexenprozessen. Der letzte Post hat eine Instruktion aus dieser Welle vom Januar 1628 behandelt. Auch in den Kurmainzer Orten Miltenberg und Lohr gab es 1626 Hexenprozesse. In der zwischen den beiden Hochstiften liegenden Grafschaft Wertheim dagegen war man an dieser Welle bis dahin nicht beteiligt. Dass etwas passierte, nahm man aber durchaus wahr. Der Wertheimer Georg Kaltdorf (der uns schon als entschiedener Verfolgungsbefürworter begegnet ist), beschuldigte 1627 seinen Lehrjungen der Zauberei und drohte damit,
ihn ins würzburgische Rothenfels zu schicken und dort auf Hexenmale besichtigen zu lassen (StAWt-G Rep. 102 Nr. 8451). 1628 schrieb der Wertheimer Graf Wolfgang Ernst an seinen Rat Dr. Konrad Bünting, man solle sich an den Würzburger Prozessen orientieren und auch in Wertheim damit beginnen, Hexen zu verhaften (StAWt-G Rep. 102 Nr. 2352).
In Wertheim gab es Druck auf die Grafen und ihre Regierung, ebenfalls mit Hexenprozessen zu beginnen. Nachdem bei Verfahren in Miltenberg auch Grafschaftsuntertanen denunziert worden waren, wandte sich die Stadt Wertheim im April 1628 an den Kurmainzer Amtmann in Miltenberg Johann Görtz von Sintzig mit der Bitte, ihr die Namen zukommen zu lassen. Die Wertheimer gaben an, ihre Herren mehrfach gebeten zu haben, „die hexische inquisition undt proceß allhiesigen orts ahn handt zu nehmen“, und jetzt sei ihnen bewilligt worden, die in den benachbarten Territorien denunzierten Hexen aus der Grafschaft festzunehmen (Staatsarchiv Würzburg, Gericht Miltenberg 691, p. 85/86). Ob in dieser Sache dann weiter etwas geschah, ist nicht bekannt.
Damals regierten vier Brüder gemeinsam die Grafschaft Wertheim. Drei waren Protestanten, Graf Johann Dietrich war katholisch geworden. In der Hexenfrage scheinen sie nicht einer Meinung gewesen zu sein. Für Wolfgang Ernst agierte Würzburg, wie gesehen, vorbildlich, auch sein Bruder Ludwig wünschte sich mehr Engagement seiner Regierung in der Hexenfrage. Im Juni 1628 schrieb er den Regierungsräten, dass „nunmehr in der stadt mit der hexerei ein so starker ruf wird, dass das kind auff der gassen davon zu sagen weiß, deswegen die herrschaft ein billigen einsehen haben … fleissig, förderlich und unverdrossene inquisition anzustellen und die verbecher ernstlicher gebühr abzustrafen länger nit differiren können.“ (StAWt G-Rep. 102 Nr. 743) Im September wurde das weitere Vorgehen in der Hexenfrage in der Kanzlei diskutiert. Graf Johann Dietrich legte Wert darauf, dass nichts geschehe, „als was sie vor Gott und der höchsten justiz wohl verantworten können.“ Ohne Gutachten auswärtiger Rechtsgelehrter, so Johann Dietrich, solle in Wertheim nicht inhaftiert, nicht gefoltert und schon gar nicht hingerichtet werden (StAWt-F Rep. 12 Kanzleiprotokoll).
Im Oktober tauchte ein Pasquill gegen den Wertheimer Hofmetzger Hans Stark auf, der als „Hexenmeister“ bezeichnet wurde. Weitere Namen wurden genannt: „Von der obrigkeit bleiben sy ungestrafft / das sey Gott im himmel geklagtt.“ Und die Magd seiner Mutter Margarethe wurde vor dem Eicheltor gefragt, ob man ihre Frau nicht bald verbrennen werde. (StAWt-G Rep. 102 Nr. 737)
Der Alltag in Wertheim lud sich mehr und mehr mit Hexenthemen auf. In meinem Buch: 1628 Wertheim. Eine Stadt in Krieg und Hexenverfolgung (Dettelbach: Röll-Verlag 2015) sind die Quellen wochenweise nebeneinander montiert. So soll deutlich werden, wie das Hexenthema von Woche zu Woche drängender wurde, bis die Spannung schließlich zu ersten Festnahmen führte.
Im Dezember 1628 forderten Wertheimer Bürger die Grafen direkt auf, mit Prozessen gegen die Hexen zu beginnen. Das Schreiben wurde an Heiligabend des Jahres 1628 in der Wertheimer Kanzlei geöffnet (das steht im Praesentatsvermerk rechts oben: Praese[ntatum] 24. Decembris anno 1628. Die Zehn (decem) aus decembris ist als römisches Zahlzeichen x geschrieben: xbris). Die Außenadresse ist formvollendet formuliert: An die hochwohlgeborne grafen und herrn, herrn Ludwigen, herrn Wolfgang Ernsten, herrn Johann Dietrichen, grafen zue Lowenstein-Wertheim, Rocheforth und Montague, oberherren zue Chasspiere, herrn zue Scharpfeneck, Breuberg, Herbemont und Neuerburg et cetera, unsere gnedige grafen und herrn. Underthänige supplication.
Im Text selbst werden die Grafen dann direkt aufgefordert, mit der Verfolgung der Hexen zu beginnen. Zauberei und Abfall von Gott sind die schrecklichste Sünde, die der Teufel unter die Menschen gebracht hat. Es herrscht Endzeitstimmung, die Welt eilt ihrem Ende entgegen. Die Zauberer und Zauberinnen (der Text bringt tatsächlich, wie in der Frühen Neuzeit häufig, beide Formen – es wird gegendert) zerstören mit Hagel, Frost und Unwettern das ganze Land. Der Text hat einen starken Bezug zu Kindern: So schlimm ist die Lage, dass schon an den Schulen Hexerei gelehrt werde. Aus beiden benachbarten Hochstiften (also aus Würzburg und Kurmainz) höre man von zur Hexerei verführten und hingerichteten Kindern. Deshalb verlangten die Eltern zu Recht von den Obrigkeiten, ihre Kinder zu schützen. Die Folgerung ist nun nicht etwa die, keine Hexenprozesse zu führen, sondern umgekehrt: Die Kinder müssen geschützt werden, indem man Hexenprozesse führt und die Hexen aus der Welt schafft. Genau dafür, werden die Grafen erinnert, haben sie von Gott das Schwert erhalten (also das Recht Justiz zu üben).
Die Bittschrift im Ganzen:
Wer verfasste solche Texte? In seiner Verbindung von theologischen (die Hexen als Strafe Gottes) und juristischen (der Leumund als Indiz) Elementen und in seiner rhetorischen Struktur befindet er sich ganz auf der Höhe der Zeit. Das muss, denke ich, ein Akademiker geschrieben haben. Wer kommt in Frage? War vielleicht ein Würzburger Jurist am Werk, der solche Texte als Geschäftsmodell entdeckt hatte? Oder gab es für Derartiges gedruckte Vorlagen? Hinweise aus den Quellen kenne ich keine. Diese Fragen bleiben spannend.
Die Kanzlei beriet die Eingabe am Heiligen Abend 1628. Sie gab ihr nicht nach. Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen, wurde im Protokoll notiert (StAWt-F Rep. 12 Kanzleiprotokoll). Am 20. Januar 1629 antwortete Graf Johann Dietrich auf die Supplik: Alle Unterzeichner sollten zur Kanzlei geladen werden und dort unter Eid Namen und Beweise nennen. Falsche Beschuldigungen sollten als Verleumdungen bestraft werden (StAWt-G Rep. 102 Nr. 743).
Im Februar 1629 gab die Wertheimer Obrigkeit ihren Widerstand gegen das Führen von Hexenprozessen auf. Ausschlaggebend waren Aussagen von Kindern nach einer Feier im Haus der Familie Klein. Mehr dazu im nächsten Post.
Zuerst veröffentlicht am 7.7.2024.
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