Drei Volkacherinnen im Würzburger Stockhaus

(Das Areal mit dem Würzburger Stockhaus auf dem Homann-Plan von 1723, Vorlage: MDZ via bavarikon)

Was wir über den folgenden Fall wissen, beginnt mit einem Schreiben des Schultheißen von Volkach nach Würzburg vom 15. August 1596. Der Schultheiß schreibt hier an Fürstbischof Julius Echter, auf Befehl des Bischofs sei das als Hexe beschreite Dienstmädchen von Konrad Ries aus Volkach nach Würzburg gebracht und dem Stockmeister überantwortet worden.

Aus dem Schreiben des Volkacher Schultheißen nach Würzburg, 15. August 1596. StAW, Hist. Saal 374

Das Mädchen bezichtigte zwei weitere Frauen aus Volkach der Hexerei: Anna Müller und Anna Binzing. Am 19. September wies Julius Echter den Schultheißen an, beide Frauen vorzuladen und ihnen mitzuteilen, dass sie nach Würzburg zur Kanzlei kommen sollen. Das Mädchen, heißt es hier, wird freigelassen werden. Der Mann von Anna Müller, Heinrich Müller, intervenierte bei Julius Echter. Die zwei Schreiben befinden sich bis heute bei den Akten: Ein „kleines maidtlein“ aus Stadtvolkach habe Hexenreden geführt und auch seine Frau beschuldigt. Die Frau sei verhaftet worden. Das Mädchen habe keinen Verstand, seine Reden seien „kindisch und unbeweislich“. Heinrich Müller bittet Julius Echter, den Schultheißen anzuweisen, seine Frau „unangetastet und unmolestirt“ zu lassen. In einer weiteren Supplik bezeichnet er seine Frau als unschuldig und bittet um Freilassung (StAW, Historischer Saal 374, fol. 190-192 und Historischer Saal 375, fol. 12/13).

Das Stockhaus in Würzburg

Anna Müller und Anna Binzing wurden schließlich ebenfalls in Würzburg inhaftiert und verhört. Der Ort der Haft ist bekannt: Das Stockhaus, ein städtisches Gefängnis. Das Stockhaus diente auch in späteren Jahren als Hexenknast. Es lag etwa dort, wo heute die Karmelitenstraße auf die Mainmühle trifft, ganz in der Nähe des Aufgangs zur Alten Mainbrücke von der Stadtseite aus. Verhörprotokolle sind aus September und Oktober erhalten. Das erste Verhör der Anna Müller vom 23. September 1595, dessen erste Seiten hier folgen, wurde durchgeführt vom Hofschultheißen sowie den Hofräten Hans Schliederer von Lachen und Dr. Johann Hering (beide sind nachgewiesen in dem Werk zum Personal der Würzburger Regierung von Reuschling, Würzburg 1984).

Deckblatt des Verhörprotokolls Anna Müller, StAW, Hist. Saal 374

Die Fragen eins bis fünf, die Frau Müller in diesem Verhör beantwortet, sind zwar im Protokoll nicht notiert, aber man kann sie aus den Antworten erschließen. Wie heißt sie? Anna, sie ist etwa 28 Jahre alt, ihr Mann heißt Heinrich Müller, sie sind seit fünf Jahren verheiratet und haben ein gemeinsames Kind. Sie hat ein krankes Auge, das durch einen Unfall gekommen ist, als sie vor drei Jahren mit ihrer Mutter Holzsammeln war (die Mutter hat ihr einen Holzscheit ins Auge geworfen). Ob sie eine Hexe (ein böses Weib) ist? Nein! Ob sie das Mädchen kennt, das sie beschuldigt? Ja, das Mädchen wohnt nur drei Häuser von ihr entfernt. Die beiden folgenden Antworten (5/6) beziehen sich auf Angaben des Mädchens, wo sie sich mit Frau Müller getroffen habe. Frau Müller sagt: alles erfunden. Sie waren nie gemeinsam auf dem Feld oder im Gras, auch von gemeinsamen Gabelfahrten (dem Hexenflug auf Besen) weiß sie nichts.
Sich widersprechende Aussagen also. Die Juristen, die das Verhör durchführten, griffen darauf zum Mittel der Wahl: Konfrontation. Man stellte die beiden Beteiligten, also Anna Müller aus Volkach und das sie beschuldigende Mädchen, einander gegenüber. Dann wurden sie erneut befragt. Zu einem Ergebnis führte das nicht, beide blieben bei ihren Aussagen.

Deckblatt des Verhörprotokolls des (Dienst-) Mädchens von Konrad Ries, StAW, Hist. Saal 374


Dabei blieb es auch am nächsten Donnerstag, als Anna Müller erneut verhört wurde. Dabei wurde sie ausdrücklich aufgefordert, sich vor Schaden und Folter „zu hueten“ – Anna Müller war also klar, dass eine die Anwendung der Folter im Raum stand. Ihre Aussage änderte sie nicht: Mit dem „Mädchen“ war sie nie an den Orten gewesen, die dieses offenbar für ihr gemeinsames Hexenwerk angegeben hatte. Denn darum ging es hier: Die Aussagen des Mädchens sollten überprüft werden. Dieses führte nun eine Zeugin an, die sie beide zusammen in der Gasse hinter ihrem Haus gesehen haben sollte: Apollonia Kessler. Und das Mädchen blieb dabei, sie habe das Hexenwerk von niemand anderem als der Müllerin gelernt.
Auch in Volkach scheint, wie 20 Jahre später beim bereits bekannten Fall des Margretleins aus Erlenbach, die Selbstbezichtigung eines minderjährigen Mädchens der Ausgangspunkt des Verfahrens gewesen zu sein. Und dann hatte das Mädchen wohl Anna Müller als diejenige genannt, von der sie das Hexenwerk gelernt hatte. Die Frage nach der Lehrmeisterin war in der Carolina, der Strafprozessordnung Kaiser Karls V., im § 52 „So die gefragt person zauberey“ vorgesehen. Hexenkenntnisse fielen nicht vom Himmel, man wurde angelernt und eingeführt.

§ 52 der Carolina, nach der auch in Würzburg die Prozesse geführt wurden. Hier ein Druck aus dem Jahr 1533 (Münchner Digitalisierungszentrum).

Der vollständige Text der Carolina.

Aus Sicht der Juristen diente dies vermutlich dem Schutz der Bezichtigten: Wer nicht auf plausible Weise einen Lehrmeister angeben konnte, hatte sich alles vielleicht nur ausgedacht. Aber die Frage konnte die Verfahren auch antreiben. Wurde nämlich ein Lehrmeister genannt, galt dies als ein Indiz dafür, dass es sich tatsächlich um eine Hexe handelte. Und beim Vorliegen mehrerer Indizien erlaubte die Carolina den Einsatz der Folter.

Die Hexen im Stockhaus erregten in Würzburg Aufsehen. Wir wissen dies aus einem Schreiben des Schusters Matheis Lutz an den Fürstbischof, das sich ebenfalls in dieser Akte befindet (StAW, Hist. Saal 374, fol. 113/114, 1. Oktober 1596): Der Schuster wollte sich die Hexen ansehen („Alß gesterigs tags berüchtigte weibs personen über die gaßen zur verhafftung gefürt, ich wegen zulaufens dasselbig zu sehen begert.“) und wurde dabei vom Stockhausmeister verprügelt. (Der Stockhausmeister war der Chef im Stockhaus. Auf wessen Gehaltsliste er stand, weiß ich nicht: Stadt oder Fürstbischof, das ist in Würzburg immer die Frage. Nachtrag 25.7.24: Im „Dienerbuch“ des Hochstifts erscheint der Stockhausmeister nicht (StAW, Standbuch 797.)

Situation an der alten Mainbrücke auf einem Katasterplan von 1835. Vorlage: bavarikon.de

Die Karte vollständig auf bavarikon. Das wuerzburgwiki verortet das Stockhaus unmittelbar an der Brücke.

Auch in den Verfahren gegen Frau Müller und Frau Binzing in Würzburg wurde nun gefoltert. Vom Anlegen der Beinschrauben ist die Rede, Frau Binzing wurde auf die Leiter gelegt. Unter der Folter gestand nun auch Frau Müller:

Der Ausgang des Verfahrens folgt im nächsten Post.

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