Nur Text: Instruktion Ehrenbergs für das Gericht zur Bestrafung der Zauberei in der Tübinger Handschrift Mh 541
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit nur einer einzigen Quelle. Aber sie hat es in sich. Es sind Anweisungen des Würzburger Fürstbischofs Philipp Adolf von Ehrenberg zum weiteren Ablauf der Hexenprozesse, erstellt mitten in der verheerenden Prozesswelle 1626/29. Den ersten Hinweis darauf habe ich bei Frank Sobiech gelesen (2019, S. 271 mit Anm. 434). In der Würzburger Hexenforschung scheint der Text ansonsten unbekannt zu sein.
Der Text ist in einer Tübinger Handschrift überliefert, die diverse Abschriften vor allem zu süddeutschen Religionsmaterien enthält. Die UB Tübingen hat das Stück dankenswerterweise digitalisiert und die Veröffentlichung freigegeben. Mehr zur Handschrift findet man bei Eingabe der Signatur Mh 541 im Tübinger Handschriftenkatalog; eine detaillierte Verzeichnung des Inhalts durch Adalbert von Keller findet sich hier auf S. 52 bzw. Scan 108. Der Kontext dieser Handschrift scheint mir für die Deutung des Würzburger Textes und seiner Herkunft nichts zu bringen.
Der Text ist eine Abschrift, die ich von der Schrift her ins 18. Jahrhundert setzen würde; eine Vorlage ist nicht angegeben (das wäre damals auch unüblich gewesen). Die Abschrift dürfte nicht ganz fehlerfrei sein: Aus Philipp Adolph von Ehrenberg wird Johann Adolph, einige Stellen bleiben trotz angestrengter Lektüre dunkel oder sind widersprüchlich … . Trotzdem sehe ich keinen Anlass, grundsätzlich an der Authentizität des Textes zu zweifeln. Der Kopist bezeichnet den Text treffend als Instruktion: Es ist kein wirkliches Mandat, sondern es werden Beschlüsse (resolutiones) auf Beschwerdeschriften (gravamina) formuliert, die Ehrenberg im Rahmen der Hexenprozesse erreicht haben. Am Ende wird ein Siegel angekündigt, als handele es sich um eine reguläre Urkunde.
Hier die Quelle (Digitalisat der UB Tübingen) samt Transkription und einer wegen der Länge der Quelle separaten Beschreibung des Inhalts, die eine Mischung aus satzweiser Wiedergabe der Vorlage und Regest ist:
Wichtigstes Ergebnis: Die Frage, ob es in der Prozeswelle 1626/29 in Würzburg ein besonderes Gericht zur Durchführung der Hexenprozesse gegeben hat, ist damit aus meiner Sicht entschieden. Die Antwort lautet Ja. Mit dieser Instruktion haben wir eine Quelle aus dem Geschehen selbst, die zu der Darstellung des westfälischen Hexenkommissars Heinrich Schultheiß passt, die dieser 1634 über das Würzburger Gericht veröffentlicht hat. (Hexenprozess-Instruktion Heinrich Schultheiß 1634: Digitalisat der SUB Göttingen, hier S. 490-494. Zur Person Schultheiß und zu seinem Hexentraktat siehe Peter Arnold Heuser und Rainer Decker in der Westfälischen Zeitschrift 2014, zur Würzburg-Passage bei Schultheiß siehe Rita Voltmer, Hexenbrenner 2020, S. 204-213.)
Um was geht es im Einzelnen? Die Instruktion regelt 1. das Verhältnis von Beichtvätern und Mitgliedern des Gerichts im Verfahren und 2. die Durchführung der Folter, die Protokollierung der Aussagen und die Möglichkeiten zu widerrufen.
Mit „Beichtväter“ übersetze ich hier die im Text gebrauchten eigenartigen directores conscientiarum. Als Beichtväter dürften Jesuiten fungiert haben (siehe dazu Sobiech 2019). Wenn diese Deutung stimmt, hatte es Streitigkeiten zwischen ihnen und den Mitgliedern des Gerichts gegeben. Ehrenberg gesteht den Beichtvätern nun ausdrücklich das Recht zu, bei der Verfahrenseinleitung anwesend zu sein und dort auch das Wort zu ergreifen. Am weiteren Fortgang des Verfahrens dürfen sie dann aber nicht mehr teilnehmen. Außerdem scheinen die Jesuiten in Würzburg etwas wie öffentliche geistliche Impulse (exhortationibus publicis, 297v) durchgeführt zu haben, bei denen es die Möglichkeit gab, Hexereidelikte zu bekennen oder anzuzeigen. An diesen nahmen auch Hexereiverdächtige teil, bevor ihr Verfahren vor das eigentliche Gericht (den weltlichen magistrat) kam. Ehrenberg untersagt diese Teilnahmen, weil sie die Beschuldigten nur verängstigten und zu unsinnigen Äußerungen verleiteten. Diese exhortationes wurden von predigern durchgeführt, was es doch wahrscheinlich macht, hier Jesuiten tätig zu sehen. Wo diese öffentlichen Impulse oder Ermahnungen stattfanden, ist unklar, dass sie der Hexenjustiz in einer Stadt, in der damals regelmäßig im Abstand weniger Wochen Hexen hingerichtet wurden, einen entschieden verstärkenden theologischen Impuls gaben, ist klar. Ehrenberg bremste hier, indem er die Teilnahme der Verdächtigen untersagte.
Weitere Regelungen der Instruktion drehen sich um den Einsatz der Folter. Er wird an eine vorhergehende Besprechung aller Direktoren (dazu gleich mehr) gebunden. Dies kann aber unterbleiben, wenn Angeklagte im gütlichen Verhör mit einem Geständnis begonnen haben und dieses dann abbrechen. Scharfrichter und Folterknechte dürfen keine Fragen stellen. Namen anderer Bezichtigter dürfen nicht vorgesagt werden. Drei Mal muss Gelegenheit zum Widerruf gegeben werden und die Aussagen müssen protokolliert werden.
Wer war im Würzburger Hexengericht tätig? Die Instruktion spricht von geistlichen und weltlichen Direktoren (directores), die vom Fürstbischof eingesetzt (verordnet) worden sind. Sie dürften den bei Schultheiß genannten sechs weltlichen und sieben geistlichen Räten entsprechen. Die kollegial gefassten Beschlüsse der Direktoren sind bindend für die inquisitores, die die Untersuchung führen. In Zweifelsfällen über den Fortgang der Verfahren müssen die Inquisitoren die Direktoren befragen. Auch der Malefizschreiber der Kanzlei nimmt teil, muss aber so sitzen, dass er nicht ins Protokoll sehen kann. Der Fürstbischof erscheint in den geschilderten Abläufen selbst nicht. Die getroffenen Regelungen dienen vielmehr auch dem Zweck, dass die beiden beteiligten Parteien ihn nicht mit privat relationibus belästigen.
Die Instruktion ist ausdrücklich auch eine Reaktion auf die Klage des Würzburger Hofrats Friedrich Burkhard vor dem Reichskammergericht in Speyer gegen das gegen ihn in Würzburg geführte Hexereiverfahren. Burkhard war im Sommer 1627 aus der Stadt geflohen und hatte in Speyer gegen das Würzburger Verfahren geklagt. Aus dem Mai 1628 ist eine Ladung Würzburgs an Burkhard überliefert, die offenbar eine Intervention des Reichskammergerichts berücksichtigt. Burkhard wird hier nicht vor eigens deputierte Richter (also vermutlich dieses Hexengericht), sondern vor das üblicherweise zuständige Stadt- und Brückengericht geladen (StAW, Historischer Saal 377 fol. 79). In der Instruktion ist mehrfach vom Reichsrecht, von der Carolina und von Satzungen der Rechtsgelehrten die Rede: Man will sich im Grundsatz daran halten, nur bei der Rolle der Beichtväter in der Verfahrenseinleitung wird ausdrücklich davon abgewichen. In Würzburg spürte man also, wie in Bamberg, den Druck des Reichsrechts bzw. von Reichsinstitutionen bei der Durchführung der Verfahren. (Für Bamberg geht die Forschung davon aus, dass dieser Druck maßgeblich für das Ende der Prozesse war, siehe dazu Britta Gehm 2012.)
Wichtig bleibt festzuhalten, dass sich aus den Verfahren dieses Würzburger Hexengerichts, soweit mir bekannt, keinerlei schriftliche Aufzeichnungen erhalten haben (obwohl es sie, siehe die Instruktion, gegeben haben muss). Auch deswegen ist dieses Tübinger Stück so bemerkenswert. Was es an schriftlichen Quellen aus den Verfahren der Jahre 1626/29 noch gibt, dürfte vom Stadt- und Brückengericht zu stammen. Die hohe Anzahl der Opfer in diesen Jahren spricht aber dafür, dass hier eine besondere Hexenjustiz tätig war und andere als die üblichen Verfahrensgrundsätze galten.
Wie kann man die Rolle der Geistlichkeit (oder der Jesuiten als Beichtväter) in den Würzburger Verfahren nach dieser Instruktion bewerten? Eine Bewertung ist auch deswegen schwierig, weil neben den weltlichen Hofräten vermutlich auch Mitglieder des Geistlichen Rats des Hochstifts angesprochen werden (die geistlichen directores des Gerichts), die ebenfalls Theologen sein konnten. Eine Abgrenzung zwischen den Beichtvätern und diesen geistlichen Räten im Text fällt nicht leicht. (Zum Geistlichen Rat in Würzburg siehe Heilmannseder 2015.)
Aber angenommen, die Konfliktlinie verlief zwischen den Jesuiten und den Mitgliedern des Gerichts. Bremsten die Jesuiten in den Verfahren? Oder wollten sie eine schnellere Anwendung der Folter und gerieten deswegen in Streit mit den Juristen? Der Anteil der Jesuiten am Verfahren wird einerseits durch die aktive Teilnahme an der Verfahrenseinleitung erweitert, andererseits wird er zweifach begrenzt: Zum einen durch das Verbot öffentlicher Bekenntnisse außerhalb der Verfahren und zum anderen durch das Verbot für die Jesuiten, im weiteren Verlauf an den Verfahren teilzunehmen. Worin könnten also die Gravamina der Jesuiten über die Verfahren gelegen haben? Einen Hinweis könnte man darin sehen, dass Ehrenberg den Einsatz der Folter nach einem begonnenen, dann aber abgebrochenen Geständnis ausdrücklich erlaubt. Hatten die Jesuiten dagegen Einspruch erhoben?
Rita Voltmer schreibt in ihrem oben genannten Beitrag: „Schultheiß machte die Jesuiten verantwortlich dafür, den Vorwurf in die Welt gesetzt zu haben, man spiele in Würzburg mit menschlichem Blut.“ (S. 208) In Bamberg wirkten die Jesuiten mäßigend: „Tatsächlich haben die Bamberger Jesuiten einen eher mäßigenden Einfluss auf die Hexenprozesse ausgeübt. 1628 ermahnte Pater Peter Kircher die Bamberger Hexenkommission, sie möge darauf achten >kein unschuldig blueth zu vergiessen<.“ (S. 209)
So bleiben am Ende viele Fragen. Wie die, ob es solche von Jesuiten angeleiteten öffentlichen Hexereibekenntnisse auch anderswo gab und ob der Aufbau des Hexengerichts mit directores und inquisitores sich auch an anderen Orten findet. Es bleibt aber auch ein erstaunlicher Einblick in die Würzburger Prozesswelle 1626/29 durch eine neu ins Blickfeld geratene Quelle.
Zuerst veröffentlicht am 12.6.2024.
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