Die zu Neunbrunn seind ubel zufrieden, das beede verdechtige weiber zu Remlingen wöllen ledig gelassen werden. (StAWt-G Rep. 58 Nr. 114)
Julius Echter hatte angeordnet, die beiden als Hexen verhafteten Frauen Wolz und Spiess aus Neubrunn freizulassen. Am 16. Oktober kam diese Nachricht in Neubrunn an. Am selben Tag verfasste die Gemeinde ein Schreiben an den Remlinger Zentgrafen Johann Müller. Darin forderte sie ihn auf, die beiden Frauen zu foltern, wie dies in der kaiserlichen Gerichtsordnung vorgesehen sei.
Das Kalkül dahinter: Unter der Folter würden die Frauen gestehen, und dann könnte man sie verurteilen und hinrichten.
Als zweiten Punkt informierte die Gemeinde den Zentgrafen, dass der Kurmainzer Amtmann von Neubrunn nach Aschaffenburg geritten sei, um sich dort Rat zum weiteren Vorgehen zu holen. Vor seiner Rückkehr sollte der Zentgraf in der Sache nichts unternehmen, so die Bitte der Gemeinde.
Man versuchte also zu verhindern, dass Julius Echters Freilassungsanordnung ausgeführt wurde.
Die Quelle im Ganzen:
Drei Tage später schrieb die Gemeinde ganz ähnlich an den Remlinger Amtmann Joachim Lotter. Sie teilte mit, dass sie an Julius Echter suppliziert hatte. Von diesem erwarteten sie, so die Neubrunner, dass er entsprechend der kaiserlichen Rechte verfahre und die beiden Frauen nicht zur Schande der Gemeinde und des Mainzer Kurfürsten (ihres Landesherren) nach Hause schicke. Weiter schreibt Neubrunn, man gehe davon aus, sich in Würzburg durchzusetzen: Es werden die sachen einen andern außgang [ge]winnen. Daher forderte die Gemeinde nach dem Zentgrafen nun auch den Remlinger Amtmann auf, die Frauen nicht freizulassen. Ein erstaunliches Schreiben! Die Gemeinde gab dem Amtmann Anweisungen und begründete das damit, das bessere Rechtsverständnis als sein Dienstherr Echter zu haben. Der Fürstbischof werde sich anschließen, so Neubrunn.
Das Schreiben aus Neubrunn kam allerdings zu spät. Die Frauen waren am Tag zuvor (21. Oktober) freigelassen worden, wie Lotter auf dem Schreiben notierte.
Die Quelle im Ganzen:
Die Neubrunner Supplik an Julius Echter datiert vom 20. Oktober. Julius Echter schickte sie nach Remlingen weiter, wo Amtmann Lotter sie am 22. Oktober las. (Ob das Schreiben in der Remlinger Überlieferung das Original oder eine Abschrift Lotters ist, ist nicht ganz eindeutig.)
Auch dieses Schreiben ist erstaunlich.
Die Gemeinde schlägt einen verblüffend drohenden Tonfall an: Echter sei zwar Zentherr (also Gerichtsherr), aber der höchste Richter sei Gott, und der werde alle strafen, die der Bestrafung des Zauberlasters im Weg stünden. Es folgt der Vorwurf, die Prozesse würden nicht richtig geführt, weil die beiden Frauen nicht gefoltert wurden (sintemal sie noch nit recht zu bekennung ihres ubels angestrengt worden sein). Die Gemeinde zeigt sich zuversichtlich, das sie alle verbrant werden.
Wenn sie aber doch entlassen würden, sollen sie mit Brief und Siegel versichern, niemandem einen Schaden anzutun, auch nicht dem Vieh, und darauf sollen sie eine Kaution stellen. (Dieses Vorhaben – eine Art kautionsbewehrte Goodwill-Erklärung der schadenszauberkundigen Hexen zu erreichen – finde ich juristisch so abwegig, dass hier ein Argument dafür liegen könnte, die Gemeinde habe doch selbständig gehandelt.)
Es folgt eine Beschwerde über den Neubrunner Pfarrer, der der verstorbenen Schultheißin eine Seelenmesse nach 30 Tagen (tricesimum) gelesen hatte. Und zwar in der Pfarrkirche, wie die Gemeinde bitter anmerkt, wo doch die Ampeln und Kerzen dort für die rechten Christgläubigen gestiftet worden seien und nicht für die Hexen. Es scheint so, als würde die Gemeinde für diese Totenmesse Echter verantwortlich machen, der ihr durch den Pfarrer so gar grossen schimpff und spott […] erweisen lassen.
Neubrunn droht offen damit, anderswo Rechtshilfe zu suchen, sollte Würzburg seinen Pflichten bei der Verfolgung der Hexen nicht nachkommen. Gemeint ist damit Kurmainz.
Neubrunn zeigt sich offen renitent: Vermutlich war man aufgefordert worden, die aus der Haft zurückkehrenden Frauen anständig zu behandeln, und machte daraus die Formulierung, man solle sie auf Händen tragen und wie gnädige Frauen behandeln. Aber: Das thun wir einmal durchaus nit!, schreibt die Gemeinde Neubrunn an Julius Echter.
Die Quelle im Ganzen:
Mit dem nächsten Post wird die Neubrunner Affäre des Jahres 1612 zum Ende kommen. Endlich!
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