Neubrunn im Jahr 1612. Zur Bewertung der Rolle von Fürstbischof Julius Echter III

Das Loch wird größer … Fehlstelle in den Unterlagen StAWt-G Rep. 58 Nr. 114.

Als Reaktion auf das Schreiben aus Würzburg machte sich der Remlinger Zentgraf Müller zusammen mit dem Zentschreiber auf den Weg nach Neubrunn. Am 2. September verfasste er darüber einen Bericht nach Würzburg.

Zunächst geht es darin um die Haftkosten der alten Schultheißin Vay. Ihr Sohn Elias verweigerte die Bezahlung mit der Begründung, seiner Mutter sei Unrecht getan worden. Der Sohn wertete den Umstand, dass seine Mutter nicht verbrannt, sondern begraben worden war, als Hinweis auf ihre Unschuld. Müller wies ihn darauf hin, man habe keinen Scharfrichter bekommen können, nur deshalb habe der Zentknecht sie auf dem Zentberg in Remlingen bestattet (wo viele andere Malefizpersonen lägen – der Zentberg ist also bis heute ein Friedhof!). Elias Vay wurde wütend und aggressiv gegen diejenigen, die seine Mutter belastet hatten.

Die Quelle im Ganzen:

Dann geht es um den Kurmainzer Amtmann in Neubrunn Johann Fluhrer. Er hatte wegen der Kostenfrage bei der Mainzer Regierung nachgefragt. Fluhrer wollte nicht, dass die Haftkosten auf alle Zentgenossen umgelegt würden, sondern die Hingerichteten mit Vermögen sollten für die ohne Vermögen mit aufkommen. (Wie die Begleichung der Haftkosten bei mittellosen Inhaftierten in Remlingen tatsächlich funktionierte, ist mir nie wirklich klar geworden. Es gibt Hinweise darauf, dass diese Kosten auf alle Genossen der Zent umgelegt wurden, und nach diesem Verfahren sieht es auch hier bei Fluhrer aus. Das wäre ein wirksamer Hebel gewesen, um Hexendenunziationen (zumindest gegen Menschen ohne Besitz) zu unterdrücken.)

Eingezogene kuntschafft wegen Michel Schmidts wittibin, dann Bastian Wolzen und Friz Spiessen weiber, alle zu Neunbrunn. (StAWt-G Rep. 102 Nr. 6561)

Im letzten Absatz berichtet Müller, die Gemeinde Neubrunn werde, wie aus Würzburg gefordert, die Indizien gegen die Zaubereiverdächtigen in Kürze zu Papier bringen. Er wird das dann unverzüglich nach Würzburg schicken, schreibt Müller, zusammen mit der Supplik der Neubrunner. Diese wäre somit wieder in Würzburg und damit im Schriftgut der Würzburger Kanzlei gelandet, womit mein im letzten Post vorgebrachtes Argument, dass diese Suppliken mit der Amtsüberlieferung untergegangen sind, hinfällig wäre – aber ich kann wohl einwenden, dass es nicht so kam: Die Supplik findet sich bis heute in der Remlinger Überlieferung.

Zehn Tage später verfasste Müller ein weiteres Schreiben. Jetzt werden erste Indizien gegen die Verdächtigen aufgeführt (Frau Michael Schmidt, Frau Wolz, Frau Spiess). Bei der Aussage von Gertraud Ries heißt es eindeutig, dass sie in Neubrunn vor Amtmann Fluhrer und Zentgraf Müller gemacht wurde. Der Zentgraf ermittelte jetzt also selbst vor Ort, und bildete dort mit dem Kurmainzer Amtmann Fluhrer eine Art gemeinsame Obrigkeit.

Die Quelle im Ganzen:

Um diesen Tag herum muss es zu den ersten Verhaftungen gekommen sein. In den Kostenaufstellungen am Ende der Verfahren beginnen die Haftkosten der Frauen von Bastian Wolz und von Fritz Spiess mit dem 12. September. In den darauf folgenden Tagen stellte die Gemeinde Neubrunn ihre Schrift mit den Indizien gegen die Verdächtigen fertig (diese Schrift hat sich nicht erhalten bzw. ist bis jetzt nicht bekannt) und nannte Zeugen für die Vorwürfe. Am 20. September hörte der Zentgraf dann (vermutlich in Neubrunn) diese Zeugen an.

15 t 4 d abermals bey verhör etlicher zeugen den 10./ 20. Septembris verzehrt. Die Zeugen beim Verhör am 20. September wurden bewirtet. (StAWt-G Rep. 58 Nr. 114)

Folgende Frauen waren von der Gemeinde als hexereiverdächtig benannt worden (leider werden die Vornamen nirgends genannt): Frau Bastian Wolz (auch bezeichnet als „die schwarze Schmiedin“, Wolz ist Schmied), Frau Fritz Spiess, Frau Kilian Luft (Tochter der verstorbenen Schultheißin), Frau Endress Seidenspinner, Frau Michael Schmidt, Frau Martin Klug (und Tochter). Die Verdächtigen sind alle Frauen, die Zeugen alle Männer (sie werden in der Quelle von 1-8 durchgezählt).

Die Quelle im Ganzen:

Hier nur ein paar Beobachtungen zu dieser hochinteressanten Quelle.

Mehrfach spielt der Familienaspekt eine Rolle: die Mutter ist Hexe, die Tochter kann es auch. In anderer Weise ist die Familie bei Frau Spiess wichtig: Sie ist Stiefmutter, und die Stiefkinder sind überzeugt, sie habe ihren Vater umgebracht. Auch dieser Verdacht kommt mehrfach vor: Bei plötzlich verstorbenen Ehemännern geht man von tödlichem Zauber der Ehefrauen aus. Die beiden verhafteten Frauen (Wolz und Spiess) haben beide nach Neubrunn eingeheiratet. Frau Spiess hat zuvor in Gamburg gewohnt und galt auch dort schon als Hexe, weiß Zeuge Melchior Herrschaft zu berichten. Frau Wolz war bereits zuvor in Remlingen wegen Hexerei in Haft. Amtmann Fluhrer gibt zu Protokoll, vom Vogt von Hochhausen gehört zu haben, dass bereits ihre Mutter (die Sparwasserin genannt) dort von allen für eine Hexe gehalten wurde.

Der Ruf, den jemand im Dorf hatte, wird in allen Aussagen thematisiert. Er galt in § 44 der Carolina als Indiz, das in Kombination mit einem weiteren den Einsatz der Folter erlaubte.

… und die selbig person des selben sunst auch berüchtigt. Der Ruf einer Person galt in der Carolina als Indiz für Hexerei (Ausgabe von 1533, Vorlage MDZ).

Bei Frau Seidenspinner wird am ehesten klar, wo der Grund des Konflikts liegt, der dann zur Hexereibeschuldigung durch ihren Mann führt. Sie liegt wie ein „zaunstecken“ neben ihm im Bett und sie ängstigt ihre Kinder. Ihr Mann hatte versucht, sie zu verlassen. Offenbar wussten alle im Dorf darüber Bescheid.

Abschließend noch eine aktenkundliche Bemerkung. Wir haben es mit dem Konzept des Zentgrafen zu tun. An einer Stelle markierte er fast wie nach Dudenvorschrift mit Ziffern über den Worten, wie er deren Reihenfolge für die Ausfertigung nach Würzburg ändern wollte:

… Er hab auch gehört, das ihr mann vor etlichen jaren (1) von ihr ziehen wollen (6), umb (2) solcher (3) ursach (4) willen (5). (StAWt-G Rep. 48 Nr. 114)
Entscheidung aus Würzburg, 13. Oktober 1612

Mehr als drei Wochen sind vergangen. Das Neubrunner Zeugenverhör vom 20. September dürfte unterdessen in Würzburg eingegangen sein (erhalten bzw. bekannt ist es nicht), und nun hat Remlingen weitere Aussagen der beiden verhafteten Frauen geschickt.
Würzburg entscheidet: Die Indizien reichen nicht aus („nit genugsamb erwiesen“), beide Frauen sollen aus der Haft entlassen werden („so bevehlen wir, ihr wollet beede … der verhafft erlassen“), gegen Bezahlung der Haftkosten.

Die Quelle im Ganzen:

Dann folgt noch eine erstaunliche Regelung, die ich so im Umgang mit einer Gemeinde in diesen Jahren selten gelesen habe: Wenn die Neubrunner sich darüber beschweren wollen, sollen sie drei Mitglieder des Dorfgerichts nach Würzburg zur Regierung (Kanzlei) schicken. Dort wird ihnen erklärt werden, warum die beiden Frauen nicht gefoltert werden können („mit der scherpff gegen ihnen nit köne verfahren werden“).

Anachronistisch formuliert: Würzburg versucht, seine Entscheidungen der Gemeinde transparent zu kommunizieren.

Die Neubrunner reagierten darauf mit mehreren Schreiben. Mehr dazu im nächsten Post.

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